Martin Balaš gibt Einblicke in den Prozess des ersten von TourCert zertifizierten nachhaltigen Reiseziels in Lateinamerika
Im Rahmen der ITB interviewte Nadine Kreutzer, Radio- und Veranstaltungsmoderatorin, Martin Balaš, der für TourCert als Berater und Spezialist für Destinationszertifizierungen im Einsatz ist.
Martin, Du bist auf die Beratung von Destinationen zum Thema Nachhaltigkeit und Zertifizierung spezialisiert. Was sind die Besonderheiten eines solchen Systems?
Der Weg zum „Nachhaltigen Reiseziel“ ist ein einzigartiger Prozess zur kontinuierlichen, nachhaltigen Ausrichtung einer touristischen Destination. Dabei werden alle drei Aspekte der Nachhaltigkeit – die ökonomischen, ökologischen und sozialen – überprüft und bewertet.
Wir haben unser System darauf ausgerichtet, in intensivem Austausch mit den Anspruchsgruppen die Destinationen strategisch nachhaltig auszurichten. Wichtig ist uns dabei, dass alle Beteiligten abgeholt werden und insbesondere die Partnerbetriebe mitziehen. Entscheidende Parameter sind dabei die Qualität der Produkte & Dienstleistungen, Kundenorientierung, schonender Umgang mit Ressourcen, Barrierefreiheit und Angebote im Bereich der nachhaltigen Mobilität. Eine nachhaltige Destination ist ein Gemeinschaftswerk, das vom partnerschaftlichen Zusammenwirken aller beteiligten Institutionen und Betriebe lebt.
In Deutschland sind bereits 14 Destinationen zertifiziert worden. Mittlerweile gibt es auch die erste von TourCert zertifizierte Destination in Lateinamerika, richtig?
Ganz genau, in Deutschland hat sich die Zertifizierung von Reisezielen bereits etabliert. Zu Beginn hat TourCert diese gemeinsam mit dem Ministerium der Justiz und für Europa Baden-Württemberg in einem Pilotprojekt entwickelt – quasi ein Biosiegel für Reiseziele. Das „Nachhaltige Reiseziel“, oder grüne N, ist die erste Zertifizierung im deutschsprachigen Raum, die die Destination als Ganzes betrachtet und alle touristischen Anbieter einer Destination mit ins Boot nimmt.
Im Rahmen des Projektes TourCert Latina und mit der finanziellen Unterstützung der Austrian Development Agency (ADA), haben wir im Jahr 2017 das Zertifizierungssystem für Destinationen an den lateinamerikanischen Kontext angepasst. Es wurden Kriterien erweitert, die für den dortigen Kontext von großer Relevanz sind, zum Beispiel was Umweltaspekte, Sicherheitsaspekte und Arbeitsbedingungen anbetrifft. So konnten wir im April 2017 einen sehr spannenden Prozess in Cuenca (Ecuador) starten und im November desselben Jahres erfolgreich abschließen. Die Stadt Cuenca ist nun die erste von TourCert zertifizierte Destination in Lateinamerika.
Sieben Monate ist doch eine recht kurze Zeit für so ein Prozess, oder? Wie lief dies in Cuenca ab?
Cuenca ist eine Stadt mit 600.000 Einwohnern, also in etwa so groß wie Stuttgart. Von touristischer Relevanz ist die Altstadt, die auch zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. So haben wir alle Maßnahmen auf die Altstadt bzw. einen Umkreis von fünf Kilometern konzentriert und dort alle touristische Anbieter identifiziert. Innerhalb dieser rund 400 Unternehmen wurde eine Kategorisierung vorgenommen. Gemeinsam mit den Partnern vor Ort haben wir 150 davon mit hoher Relevanz eingestuft, darunter Museen, Cafés, Unterkünfte, Kunsthandwerksläden und Restaurants.
Diese 150 touristischen Unternehmen wurden eingeladen, sich an dem Destinationsprozess zu beteiligen. Dafür mussten sie eine Bestandsaufnahme an ihren jeweiligen Standorten durchführen. Hier ging es um Aspekte wie Sicherheit, Umwelt und Arbeitsbedingungen. Bei der Feststellung von Schwachstellen wurde ein Aktionsplan erstellt. Die Unternehmen hatten dann rund drei Monate Zeit, um diese Mankos zu verbessern, bzw. Fehler zu beheben. Nach einer Überprüfung der Verbesserungen waren diese Unternehmen schließlich in der Lage, den Status „Partnerbetrieb“ zu erreichen.
Haben sich alle 150 Betriebe an dieser Maßnahme beteiligt?
120 haben sich daran beteiligt und schließlich haben 87 den Status „Partnerbetrieb“ erlangt. Das ist ein großartiges Ergebnis. Von den 150 ursprünglich als relevant identifizierten touristischen Anbieter blieben somit über 58 % Unternehmen. Das ist ein toller Erfolg. Denn selbstverständlich spielen die touristische Anbieter in der Destination eine sehr wichtige Rolle.
Was war ausschlaggebend für diesen Erfolg?
Der Schlüssel zum Erfolg waren strategische Allianzen. Die koordinierende Instanz für den gesamten Prozess war die Fundación Municipal para Cuenca als DMO (Destinationsmanagementorganisation). Dafür hat die Geschäftsführung einen Nachhaltigkeitsmanager benannt und zu ca. 80 % seiner Stelle über die sieben Monate für die Koordination und Gestaltung des Prozesses delegiert.
Zwei BeraterInnen von unserem Büro TourCert Ecuador haben den Prozess vor Ort begleitet, außerdem hat die Außenstelle des Tourismusministeriums (MINTUR) in Cuenca große Unterstützung geleistet. Für die Bestandsaufnahme bei den Partnerbetrieben wurde eine Kooperation mit der dortigen Hochschule abgeschlossen und Tourismusstudierende entsprechend geschult.
Nur in dieser Kooperationskonstellation war es möglich, die Zertifizierung der Destination Cuenca in so kurzer Zeit mit einer so breiten Beteiligung zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Wir freuen uns sehr, dass Cuenca Teil unserer TourCert Community ist. Es gibt sogar einen Film darüber.
Und wie geht es jetzt weiter? Welche weiteren Destinationen befinden sich im Prozess?
In Deutschland arbeiten wir zunächst natürlich weiter und haben einige interessierte Städte und Regionen, die die Relevanz von Nachhaltigkeit erkannt haben. Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, Arbeitgeber und zugleich Imageträger für sie. In Lateinamerika sind wir auch in Costa Rica vertreten, zwei Destinationen befinden sich dort im Prozess. Außerdem sollen einige Destinationen in Peru und Ecuador demnächst beginnen.
Super, vielen Dank für die Einblicke, wir sind gespannt auf neue tolle nachhaltige Destinationen!
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ADA, Cuenca, Destinationen, Lateinamerika, Nachhaltige Reiseziele, Zertifizierung