TourCert Journal

Nachhaltigkeitsprozesse mit der Zielsetzung der Zertifizierung: Eine systemische Intervention

Eine grüne Weinlandschaft im Burgenland.

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Destinationsmanagement-Organisationen (DMOs) stehen zunehmend vor der Herausforderung, nicht nur kurzfristige touristische Trends zu bedienen, sondern auch langfristige, nachhaltige Transformationsprozesse zu gestalten. Angesichts der zunehmenden globalen Umweltveränderungen, gesellschaftlicher Erwartungen und wachsender politischer Anforderungen an die Tourismusbranche müssen DMOs ihre Rolle erweitern und aktiv zur nachhaltigen Entwicklung ihrer Destinationen beitragen. Dies erfordert eine neue Denkweise und die Integration nachhaltiger Praktiken in alle Ebenen des Destinationsmanagements.

Systemische Interventionen im Tourismus zielen darauf ab, das gesamte touristische System nachhaltig zu transformieren und zu verbessern. Dabei wird das Tourismus-System als ein komplexes Netzwerk von Akteuren, Prozessen und Strukturen in der Region betrachtet, die miteinander eng interagieren und sich gegenseitig beeinflussen.

Die TourCert-Zertifizierung für Destinationen (auch Zertifizierung „Nachhaltiges Reiseziel“) bietet eine klare und messbare Struktur, um diese nachhaltige Transformation proaktiv voranzutreiben und als langfristigen Prozess zu etablieren. Die folgenden Kernelemente sind dabei entscheidend:

  • Ganzheitlicher Ansatz: Nachhaltige Tourismusentwicklung verlangt, dass neben den Bedürfnissen der Gäste auch die Interessen der Region, der Unternehmen, der Beschäftigten, der lokalen Bevölkerung und der Natur berücksichtigt werden. Die TourCert-Zertifizierung fordert, dass diese Perspektive in alle organisatorischen Ebenen und Entscheidungsprozesse integriert wird, um ein ausgewogenes und langfristig tragfähiges Tourismusmodell zu schaffen. Dieser integrative Ansatz stellt sicher, dass die Verantwortung für den Lebensraum Tourismusdestination nicht nur auf die touristischen Akteure beschränkt bleibt, sondern alle relevanten Stakeholder aktiv eingebunden werden.
  • Netzwerkbildung und Zusammenarbeit: Systemische Interventionen wie die TourCert-Zertifizierung fördern die sektorübergreifende Zusammenarbeit und Vernetzung zwischen verschiedenen Akteuren in der Region. Dies kann durch gemeinsame Projekte, Partnerschaften, neue Formen der Kooperation und durch den Austausch von Wissen und Ressourcen geschehen.
  • Anpassungsfähigkeit und Resilienz: Systemische Interventionen wie die TourCert-Zertifizierung zielen darauf ab, das touristische System anpassungsfähiger und resilienter zu machen, um auf Veränderungen, Chancen und Herausforderungen, wie zum Beispiel den Klimawandel, besser reagieren zu können.

Ein besonders gutes Beispiel für eine erfolgreiche systemische Intervention ist das österreichische Burgenland, das im Januar 2024 den Prozess zur Doppelzertifizierung nach TourCert und dem Österreichischen Umweltzeichen gestartet hat. Die Initiative umfasst drei Destinationen und 171 Gemeinden und zeigt, wie durch koordinierte Anstrengungen und klare Zertifizierungsziele eine umfassende Transformation hin zu nachhaltigem Tourismus gelingen kann. 

Florian Größwang, Mitgründer und Senior Berater von TourCert Austria, berichtet, dass die ersten Zertifizierungen in österreichischen Destinationen zeigen, wie herausfordernd es für Destinationsmanagement-Organisation (DMO) ist, echte Partizipationsprozesse aufzusetzen, die auch die Bevölkerung aktiv einbinden. Zudem messbare Kennzahlen KPIs und Ziele zu definieren und diese in Monitoringsystemen sichtbar zu machen oder auch landesweite Klimastrategien auf konkrete Handlungsanleitungen für die DMO und ihre Partner herunterzubrechen.  

Im Folgenden gewährt Florian Größwang einen tieferen Einblick in die Zertifizierungsprozesse sowie die zugrunde liegenden Strategien und Ansätze des „Nachhaltigen Reiseziels“ Burgenland: 

Warum wurde die Zertifizierung in diesem Bundesland angestrebt?

  • Die Zertifizierung der Destinationen entspricht sowohl der nationalen Zertifizierungsstrategie (auf der Basis des Masterplan T für Tourismus) als auch dem verabschiedeten Masterplan der Tourismuslandesstrategie Burgenland 2030 (als hochpriorisiertes Starter-Projekt).
  • Der langfristige strategische Nachhaltigkeitsprozess in den Destinationen soll die Entwicklung in den Regionen fördern und Maßnahmen messbar und transparent machen!
  • Es soll eine nach innen und außen spürbare Haltung in einem landesweiten, sektorübergreifenden Netzwerk zum Thema Nachhaltigkeit entwickelt werden, welche die gemeinsame Sprache und Denkweise zur Nachhaltigkeit in den Regionen fördert und die regionale Identität und Wertschöpfung steigert.
  • Es sollen neue kommunizierbare, nachhaltige Angebote geschaffen werden, um neue Gäste für das Burgenland zu gewinnen und den Ganzjahres-Qualitätstourismus weiterzuentwickeln.
  • Das Tourismus-System der Destination soll auf neue gesetzliche Vorschriften (z.B. „EU Green-Claims Directive“, Förderungen oder Finanzierungen) vorbereitet werden.
Ein Mann steht auf einem Hügel und blickt über die Landschaft des Burgenlands.
Das österreichische Burgenland ist auf dem Weg, eine nachhaltige Reisedestination zu werden.

Welche systemischen Interventionen wurden durch den Nachhaltigkeitsprozess initiiert?

In den burgenländischen Destinationen wurden durch den Nachhaltigkeitsprozess im letzten Jahr vielfältige, systemische Interventionen auf unterschiedlichen Ebenen angestoßen.

Auf der Ebene der Destinationsmanagement-Organisationen (DMO):

  • Eine Organisationsentwicklung mit einer Weiterentwicklung der Teams und neuer Aufgaben- und Rollen für einen zukunftsfähigen Tourismus in der Region
  • Die partizipative Entwicklung eines Nachhaltigkeitsleitbildes für die DMO
  • Eine umfangreiche Datensammlung, um zukünftig evidenzbasierte Gesprächsräume öffnen zu können und faktenbasierte Entscheidungen auf der Basis von definierten KPIs und Zielsetzungen treffen zu können
  • Die erstmalige Erarbeitung und Veröffentlichung von Nachhaltigkeitsberichten
  • Die Entwicklung neuer Förderungen für die Zertifizierung der betrieblichen Ebene, um Nachhaltigkeit in der Destination noch sichtbarer zu machen
Ein Gruppenfoto, aufgenommen in einer Tourismus-Einrichtung im Burgenland, auf dem Männer und Frauen in die Kamera schauen.
Engagierte Teamarbeit, die gemeinsam bedeutende Veränderungen im Tourismus vorantreibt und die Zukunft ihrer Region gestaltet.

In der Zusammenarbeit zwischen Landestourismusorganisation und DMO und zwischen den DMOs im Land:

  • Die Organisations- und Kulturentwicklung mit einer Prozess- und Rollendiskussion im System
  • Die Entwicklung von Prozesskompetenzen, um komplexe Ausverhandlungsprozesse gestalten zu können
  • Die gemeinsame Aneignung von Know-How zu Daten und zu Indikatoren

In der sektorübergreifenden Kooperation in der Region (aus der Perspektive Lebensraum):

  • Die Entwicklung von Nachhaltigkeitsnetzwerken mit der Konstituierung von Nachhaltigkeitsräten in den Regionen
  • Alle Gemeinden und Bürgermeister:innen wurden zum Nachhaltigkeitsprozess an Board geholt und haben „Letter of Intent“ zur Unterstützung unterschrieben – damit wurde die Wertschätzung für den Tourismus und den Prozess auch öffentlich dokumentiert.
  • Die Gästemobilität (inkl. BAST-Anrufsammeltaxi) mit der „Burgenland Card“ gratis ab 1. Juni 2024 – also ein Riesenschritt für die Weiterentwicklung der Mobilität in den Regionen (für die Bevölkerung und die Gäste)
  • Die Weiterentwicklung des myburgenland Shops (www.myburgenland.shop), um regionale Produzenten, Handwerk und Tourismus noch enger miteinander zu verbinden.
Eine Frau überreicht einer Touristin an einem Stand eine Burgenland Card.
Die Burgenland Card bietet kostenlose Mobilität und Vorteile im regionalen Tourismus.

Die neue Nutzenstiftung der DMO für die Region als Chance verstehen

Die Finanzierungsstrukturen und Governance von Destinationsmanagement-Organisationen (DMOs) werden sich künftig ändern, was eine Neugestaltung des Gleichgewichts der Interessen in ihrer Region erfordert. Derzeit bestehen vielfach Defizite in der Prozessgestaltung. Wichtige Fragen sind daher: Wie sieht in Zukunft ein partizipativer Governance-Ansatz aus und was muss die DMO dafür entwickeln und umsetzen? Nachhaltigkeitsprozesse mit Zertifizierungszielen setzen hier an, indem sie einen langfristigen, extern überprüfbaren Prozess starten. Dies ermöglicht DMOs wie im Burgenland, regionale, sektorübergreifende Entwicklungen effizient und effektiv mit ihren Stakeholdern zu gestalten. Sie bieten eine Methode, um nachhaltige Praktiken zu implementieren und zu kommunizieren, und tragen zur systemischen Entwicklung, Stabilität und Resilienz der Region bei.  

Zusammengefasst sind Nachhaltigkeitsprozesse mit der Zielsetzung der Zertifizierung also ein wertvolles systemisches Instrument, um die nachhaltige Transformation von Regionen zu fördern. Die Entscheidung für einen solchen Prozess ist nicht nur eine Verpflichtung gegenüber der Umwelt, sondern auch eine strategische Entscheidung, die wirtschaftliche, soziale und ökologische Vorteile miteinander vereint und die zukünftige Nutzenstiftung der DMO in der Region konkretisiert! 

Florian Größwang

Co-Founder Austria

florian.groesswang@tourcertaustria.com
www.tourcert.at

Tags
Nachhaltige Destinationen, Nachhaltige regionale Entwicklung, Nachhaltiger Tourismus, Nachhaltiger Tourismus Österreich, Nachhaltigkeitsstrategie im Tourismus, Systemische Interventionen im Tourismus, TourCert-Zertifizierung, Transformationsprozess im Tourismus

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