Im Rahmen des Projekts Tourism Impact Alliance haben wir ein umfassendes Set von Key Performance Indicators (KPIs) entwickelt, das darauf abzielt, die Nachhaltigkeit im Tourismus zu fördern. Diese Kennzahlen werden derzeit in mehreren Reisezielen getestet – unter anderem in der Dominikanischen Republik. In diesem Interview sprechen wir mit Lisette Marie Gil Muñoz, einer zentralen Akteurin, die diese Initiative in der Provinz Samaná in der Dominikanischen Republik leitet. Lisette teilt ihre wertvollen Erkenntnisse über die Bedeutung dieser KPIs zur Förderung eines nachhaltigen Tourismus, über die Herausforderungen während der Pilotphase und darüber, wie die Integration dieser Indikatoren substanzielle und messbare Fortschritte ermöglichen kann. Unser Gespräch beleuchtet zudem die Relevanz lokaler Zusammenarbeit, effektiver Datenerhebung sowie das Potenzial dieses Pilotprojekts, als skalierbares Modell für andere Regionen zu dienen.
Mit über 30 Jahren Erfahrung im Bereich des nachhaltigen Tourismus hat Lisette Marie Gil Muñoz bedeutende Beiträge sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor geleistet. Sie spielte eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des ersten Modells für nachhaltiges Destinationsmanagement in der Dominikanischen Republik und leitet derzeit den Sustainable Tourism Circuit in Samaná, an dem mehr als 100 lokale Unternehmen beteiligt sind.

Was hat Sie persönlich an diesem Projekt gereizt, und welche Bedeutung messen Sie der Einführung von KPIs für den Tourismus in der Dominikanischen Republik bei?
Die Möglichkeit, die Auswirkungen des Tourismus anhand vielfältiger Variablen messbar zu machen, eröffnet meinem Land die Chance, den Tourismus aus sozioökonomischer, ökologischer und kultureller Perspektive nachhaltig zu entwickeln. Ich bin fest davon überzeugt, dass ein Land seinen Tourismussektor in erster Linie im Sinne einer besseren Lebensqualität für die eigene Bevölkerung entwickeln sollte – und erst in zweiter Linie zum Vergnügen der Besucher. In der Dominikanischen Republik wird dieser Aspekt bislang noch nicht ausreichend berücksichtigt. Tourismus ist ein bedeutender Devisenbringer, auch wenn die lokale Bevölkerung gleichzeitig unter Wasserknappheit oder mangelhaften öffentlichen Dienstleistungen leidet.
Am meisten motiviert mich die Möglichkeit, diese Realität mithilfe von Indikatoren sichtbar zu machen und politischen Entscheidungsträgern eine Botschaft auf Basis realer Daten zu übermitteln. Ich wünsche mir einen grundlegenden Wandel im dominikanischen Modell der Tourismusentwicklung. Darüber hinaus möchten wir gemeinsam mit TourCert ein Pilotprojekt in der Dominikanischen Republik umsetzen, das als Vorbild und Orientierung für andere Reiseziele im Netzwerk „Destinos del Futuro“ dienen soll.
Inwieweit werden KPIs bereits vor Ort in der Dominikanischen Republik eingesetzt, und welchen Einfluss hatten sie bisher auf die touristische Entwicklung?
Die derzeit in der Dominikanischen Republik verwendeten Indikatoren beziehen sich hauptsächlich auf die touristische Nachfrage und werden vom Tourismusministerium (MITUR) sowie der Zentralbank erhoben. Dazu zählen beispielsweise die Anzahl der ankommenden Touristen, deren Herkunft, durchschnittliche Aufenthaltsdauer oder durchschnittliche Ausgaben. Aus Sicht des touristischen Angebots werden lediglich die Anzahl verfügbarer Hotelzimmer und die direkt geschaffenen Arbeitsplätze berücksichtigt.
Es gibt jedoch zahlreiche Indikatoren, die bisher keine Beachtung finden – etwa die positiven oder negativen Auswirkungen auf die Umwelt, die Lebensqualität der Anwohner in Tourismusregionen oder der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung oder Bildung. Mit den neuen KPIs betreten wir – gemeinsam mit TourCert – Neuland, und ich hoffe sehr, dass dieser Ansatz künftig systematisch verfolgt und von der dominikanischen Regierung, insbesondere vom Tourismusministerium, übernommen wird, das bereits Interesse daran signalisiert hat.

Welche Pilotdestinationen in der Dominikanischen Republik sind beteiligt, und warum wurden gerade diese ausgewählt?
Die Provinz Samaná ist die erste Destination, in der diese Indikatoren getestet werden. Der Grund dafür ist, dass dort ein horizontales Tourismussystem existiert, das über eine Wertschöpfungskette im Rahmen eines Sustainable Tourism Circuit aufgebaut wurde. In dieser Region sind die notwendigen Informationen größtenteils verfügbar, was die Erhebung der Indikatoren etwas erleichtert. Dennoch bleibt die Umsetzung eine komplexe Aufgabe, da es nach wie vor an vielen grundlegenden Instrumenten fehlt, um präzisere Ergebnisse zu erzielen.
Ein Beispiel: Um den Wasserverbrauch zu messen, müssen wir auf Vergleichsdaten anderer Karibikdestinationen zurückgreifen, da die meisten touristischen Betriebe über keine installierten Wasserzähler verfügen. Es gibt also Herausforderungen in diesem Prozess, aber wir identifizieren diese Schritt für Schritt und arbeiten aktiv an Lösungen.

Was sind die konkreten Ziele dieser Pilotphase? Wie wird die Testphase ablaufen?
Die Ziele sind zweifach: Zum einen möchten wir möglichst viele der Indikatoren erfassen, um eine fundierte Ausgangsbasis zu schaffen, die als Grundlage für eine regelmäßige und systematische jährliche Messung dient. Zum anderen hoffen wir, dass die Anwendung dieser Indikatoren als jährliche Praxis etabliert wird, um Fortschritte oder Rückschritte sichtbar zu machen – was es den Behörden und dem privaten Sektor ermöglicht, gezielt korrigierende Maßnahmen oder Verbesserungen umzusetzen.
Für diese erste Phase arbeiten wir mit der akademischen Welt zusammen: Es wurden zwei Praktikumsstellen für Studierende im letzten Jahrgang des Tourismusstudiums geschaffen, die uns bei der Recherche und Datenerhebung unterstützen.
Wie werden die Daten erhoben, und welche technischen Hilfsmittel oder Methoden kommen dabei zum Einsatz?
Wir verwenden mehrere Methoden. Die erste besteht in der Auswertung offizieller Datenquellen und wissenschaftlich fundierter Studien. Eine zweite Methode umfasst Befragungen von Unternehmen des privaten Sektors, lokalen Akteurinnen sowie Touristinnen.
Teilweise müssen wir Daten ableiten und einfache Formeln anwenden, um möglichst realitätsnahe Näherungswerte zu berechnen. Zu den offiziellen Quellen, auf die wir uns stützen, gehören unter anderem das nationale Statistikamt (Oficina Nacional de Estadística), Daten der Zentralbank sowie Studien von SITUR.
Welche Herausforderungen erwarten Sie bei der Umsetzung der KPIs, und wie wollen Sie diese bewältigen?
In der Dominikanischen Republik gibt es bisher keine Tradition, Nachhaltigkeitsindikatoren in touristischen Destinationen systematisch zu erfassen. Eine der größten Herausforderungen ist daher der Mangel an spezifischen Daten. Unser Ziel ist es, innerhalb der Branche und unter den Fachkräften ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Datenerhebung und -monitoring künftig als selbstverständlicher Bestandteil ihrer Arbeit verstanden werden.
Aktuell besteht unsere Aufgabe darin, nach Informationen zu suchen, zu forschen und die nötigen Daten teilweise selbst zu generieren – sei es durch Ableitung aus bestehenden Informationen oder durch den Vergleich mit anderen Reisezielen in der Region, die in diesem Bereich bereits weiter fortgeschritten sind.

Gibt es bestimmte Nachhaltigkeitsindikatoren, die Sie für die touristische Entwicklung vor Ort als besonders relevant erachten? Warum?
Der Wasserverbrauch ist ein entscheidender Indikator, da die Dominikanische Republik offiziell als wasserarmes Land gilt und viele Gemeinden weiterhin unter einem Mangel an diesem lebenswichtigen Gut leiden. Die unkontrollierte touristische Entwicklung ohne angemessene Planung verschärft diese ohnehin alarmierende Situation zusätzlich.
Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Tragfähigkeit sensibler Naturräume, wie etwa Nationalparks, die bislang nicht ausreichend berücksichtigt wird. Einige Orte – etwa die Insel Saona – sind extrem beliebt und empfangen über 1,5 Millionen Tourist*innen, doch es gibt dort praktisch kein Abwasser- oder Abfallmanagement. Das sind zwei besonders besorgniserregende Beispiele.
Auch das Thema Governance ist von großer Bedeutung – und eines der Hauptfelder, auf die sich TourCert konzentriert, um es in den Destinationen gezielt zu stärken.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem Tourismusministerium und anderen lokalen Akteuren?
Wir pflegen sehr gute Beziehungen zum Tourismusministerium (MITUR) sowie zu lokalen Stakeholdern. Unsere Rolle besteht darin, aus fachlicher und respektvoller Perspektive Beiträge zu leisten, alternative Lösungsansätze anzubieten und gemeinsam an einer nachhaltigen Entwicklung von Samaná zu arbeiten. Seit 2019 engagieren wir uns – gemeinsam mit TourCert – für einen nachhaltigen Tourismus, was von MITUR sehr geschätzt wird. Das Ministerium betrachtet uns mittlerweile sogar als Berater*innen in Fragen des nachhaltigen Tourismus.
Welche langfristigen Erwartungen verbinden Sie mit der Einführung von KPIs in der Dominikanischen Republik?
Wir hoffen, dass dieses in Samaná gestartete Pilotprojekt künftig auf alle touristischen Regionen des Landes übertragen wird und Teil eines strategischen Planungsprozesses wird, der auf realen, sektorspezifischen Daten sowie Informationen aus den jeweiligen Regionen und zur Lebensqualität der Menschen basiert.
Zudem wünschen wir uns, dass dieses Pilotprojekt so erfolgreich wird, dass es in anderen Destinationen des lateinamerikanischen Netzwerks „Destinos del Futuro“ übernommen werden kann.
Gibt es andere Regionen oder Länder in Lateinamerika und der Karibik, in denen geplant ist, KPIs zu testen? Sehen Sie Unterschiede in der Anwendung im Vergleich zur Dominikanischen Republik?
Wir alle müssen KPIs anwenden – auch wenn sie gegebenenfalls leicht angepasst werden müssen. Ein historisch-urbanes Reiseziel zum Beispiel wird die Indikatoren zur Ökosystem- oder Biodiversitätserhaltung entsprechend anpassen müssen, da solche Merkmale dort möglicherweise nicht vorhanden sind.
Insgesamt halte ich die KPIs jedoch für sehr wirkungsvoll – und wir werden das beweisen! Wir hoffen, dass diese Indikatoren auch von anderen Destinationen in Lateinamerika übernommen werden, die Mitglieder des Netzwerks sind, um einen vergleichenden Austausch und gegenseitiges Lernen zwischen unseren Ländern zu ermöglichen.
Vielen Dank, Lisette, dass Sie Ihre inspirierende Vision mit uns geteilt und so wertvolle Einblicke gegeben haben, wie KPIs die Zukunft eines nachhaltigen Tourismus aktiv mitgestalten können.
Tags
Destinationsmanagement, Dominikanische Republik, Gemeindetourismus, Nachhaltiger Tourismus, Nachhaltigkeitsindikatoren im Tourismus, Samaná, Tourismus-Kennzahlen (KPIs), Tourismusdaten, Tourismuseinfluss, Umweltzertifizierung, Wasserverbrauch im Tourismus