TourCert Journal

Messbare Nachhaltigkeit: Der globale Weg zu einheitlichen Indikatoren im Tourismus

Eine Hand hält einen Kompass vor einer grünen Landschaft.

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Nachhaltigkeit im Tourismus ist nicht nur ein Schlagwort, sondern eine Notwendigkeit. Doch wie kann nachhaltiger Tourismus gemessen und gesteuert werden? Dieser Blogbeitrag gibt einen Überblick über zentrale internationale Rahmenwerke und Initiativen und stellt die Arbeit der Tourism Impact Alliance vor, die einen weltweit anwendbaren KPI-Katalog für Reiseziele entwickelt. Zudem werden die Herausforderungen begrenzter Messbarkeit und unzureichender Datenverfügbarkeit thematisiert, die viele Systeme bisher behindert haben.

Warum sind Nachhaltigkeitsindikatoren im Tourismus wichtig?
Der Tourismus steht vor grundlegenden Herausforderungen: Overtourism, Umweltbelastungen und soziale Ungleichheiten verdeutlichen die Grenzen eines rein wachstumsorientierten Ansatzes. Die COVID-19-Pandemie hat klargemacht, dass der Sektor widerstandsfähiger und nachhaltiger werden muss. Doch wie kann Nachhaltigkeit gemessen und gesteuert werden?

Hier kommen Key Performance Indicators (KPIs) ins Spiel. Als messbare Kennzahlen für nachhaltige Maßnahmen liefern sie datenbasierte Entscheidungsgrundlagen und ermöglichen die Festlegung und kontinuierliche Verfolgung klarer Ziele für nachhaltige Entwicklung. Sie dienen als „Frühwarnsystem“, indem sie Herausforderungen frühzeitig erkennen und gezielte Anpassungen ermöglichen. Während traditionelle Messgrößen wie Übernachtungen, Anreisen oder Umsätze lange als zentrale Erfolgsfaktoren galten, reichen sie in einer zunehmend komplexen Welt nicht mehr aus. Rein wachstumsorientierte Indikatoren erfassen weder die Auswirkungen des Tourismus auf Umwelt und lokale Gemeinschaften noch helfen sie, Herausforderungen wie Ressourcenknappheit oder Überfüllung zu bewältigen.

Die Entwicklung eines umfassenden, praxisnahen Indikatorensystems für den Tourismus bleibt eine anspruchsvolle Aufgabe, wie internationale Bemühungen bisher zeigen.

Relevante Rahmenwerke und Initiativen
Die Diskussion über Indikatoren zur Messung der Nachhaltigkeit im Tourismus reicht bis in die 1990er Jahre zurück. Die Agenda 21 (1996) betonte die Bedeutung praktischer Indikatoren auf lokaler und nationaler Ebene. 2005 veröffentlichte die UNWTO (heute UN Tourism) Richtlinien mit über 700 Indikatoren zu 50 Nachhaltigkeitsthemen. Die Europäische Kommission unterstrich 2003 mit den „Grundlinien für einen nachhaltigen europäischen Tourismus“ die Notwendigkeit verlässlicher Analysen und forderte benutzerfreundliche Berichtssysteme. Gleichzeitig befasste sich die Wissenschaft intensiv mit der Entwicklung von Nachhaltigkeitsindikatoren. Zahlreiche Konzepte wurden vorgeschlagen, doch fehlender Konsens über Auswahl und Anwendung der Indikatoren erschwert die Vergleichbarkeit und das Benchmarking.

Die Dringlichkeit wächst jedoch: Internationale Initiativen wie die EU Green Claims Directive oder die Glasgow Declaration fordern verlässliche Daten, um Nachhaltigkeit transparent zu machen und Greenwashing zu verhindern. Die internationale Diskussion hat in den letzten Jahren erheblich an Dynamik gewonnen, und viele Organisationen und Initiativen arbeiten daran, die Messung der Nachhaltigkeit im Tourismus voranzutreiben. Nachfolgend werden einige der wichtigsten Rahmenwerke und Initiativen vorgestellt:

UN Tourism: Statistisches Rahmenwerk zur Messung der Nachhaltigkeit im Tourismus (SF-MST)
Die Welttourismusorganisation (UN Tourism) hat mit dem „Measuring the Sustainability of Tourism“ (MST)-Rahmenwerk einen bedeutenden Beitrag zur internationalen Diskussion über Nachhaltigkeitsindikatoren im Tourismus geleistet. Seit 2017 entwickelt sie ein Konzept, das die ökonomischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen des Tourismus umfassend erfasst. Aufbauend auf etablierten Systemen wie dem Tourism Satellite Account (TSA) und dem System of Environmental-Economic Accounting (SEEA-CF) soll MST nationale Statistikbehörden unterstützen.

Obwohl MST die Relevanz subnationaler Tourismusniveaus anerkennt, erschweren Unterschiede in der Datenverfügbarkeit und den Messmethoden die Übertragbarkeit nationaler Ansätze. Zudem fehlen klare Richtlinien zu methodischen Ansätzen oder spezifischen Indikatoren. Infolgedessen wird MST oft als wichtiger Katalysator für die Weiterentwicklung von Nachhaltigkeitsmesssystemen betrachtet.

GSTC-Kriterien für die Tourismusbranche und Destinationen
Die Kriterien des Global Sustainable Tourism Council (GSTC) sind ein international anerkannter Standard für Nachhaltigkeit im Tourismus und konzentrieren sich auf vier Bereiche: nachhaltiges Management, sozioökonomische Auswirkungen, kulturelles Erbe und Umwelt. Sie wurden durch einen globalen Konsultationsprozess mit Experten aus der Tourismusbranche, NGOs, Zertifizierungsorganisationen, Regierungsvertretern und anderen Stakeholdern entwickelt und bieten Orientierung für die Privatwirtschaft und Destinationen.

Der Fokus der GSTC-Kriterien lag jedoch stärker auf Zertifizierungs- und Verifizierungsprozessen als auf der Messung konkreter Auswirkungen. Zwar schlagen sie Indikatoren zur Bewertung der Kriterienkonformität vor, doch fehlen klare Anleitungen zur Datenerhebung oder Messmethoden. Stattdessen wird von zertifizierten Akteuren erwartet, eigene Indikatorensets zu entwickeln, was die praktische Anwendung erschwert. Daher konzentrieren sich die Empfehlungen vor allem auf Audit- und Zertifizierungsaspekte, nicht auf aussagekräftige Wirkungsanalysen in touristischen Unternehmen oder Destinationen.

EU-Initiativen: Green Claims Directive und Tourism Transition Pathway
Die Europäische Kommission hat die Green Claims Directive ins Leben gerufen, um Greenwashing zu verhindern und Unternehmen zur externen Verifizierung umweltbezogener Aussagen wie „klimaneutral“ oder „umweltfreundlich“ zu verpflichten. Diese Anforderungen gelten sowohl für Unternehmen in der EU als auch für solche mit Lieferketten innerhalb der EU. Zudem müssen quantitative Indikatoren standardisiert werden, um Vergleichbarkeit und Benchmarking zu ermöglichen. Rahmenwerke wie der Product Environmental Footprint (PEF) und der Organization Environmental Footprint (OEF) sollen dabei unterstützen.

Die Green Claims Directive ergänzt den EU Tourism Transition Pathway, der ebenfalls auf verlässliche Daten und transparente Nachhaltigkeitsmessung setzt. Beide Initiativen zielen darauf ab, die Transformation hin zu einem nachhaltigen, datengestützten Tourismus voranzutreiben, indem sie vergleichbare Indikatoren und robuste Standards für Unternehmen und Destinationen schaffen.

Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)
Ein Pilotprojekt der OECD mit den spanischen Regionen Andalusien, Katalonien, Navarra und Valencia, finanziert durch die Europäische Kommission, zeigt, wie regionale Indikatorensysteme entwickelt werden können. Ziel war es, ein System zu schaffen, das die Nachhaltigkeit des Tourismus auf regionaler Ebene messbar macht.

Das Projekt liefert wertvolle Erkenntnisse, etwa zur Vergleichbarkeit zwischen Regionen und zur Berücksichtigung lokaler Herausforderungen wie Klimaschutz und Ressourcenmanagement. Es zeigt jedoch auch Grenzen auf: Die Umsetzung erfordert erhebliche Ressourcen, und die Datenverfügbarkeit bleibt eine Herausforderung.

Zwei Hände halten ein Tablet, auf dem verschiedene Statistiken angezeigt werden.
Datengetriebene Nachhaltigkeit: Das OECD-Pilotprojekt entwickelt Indikatoren zur Messung von nachhaltigem Tourismus auf regionaler Ebene.

Internationale Systeme: Fazit
Diese Liste internationaler Systeme ist natürlich nicht abschließend. Derzeit finden auf verschiedenen Ebenen zahlreiche Diskussionen darüber statt, welche KPIs am besten zur Bewertung des Tourismus geeignet sind.

Die Messung der Nachhaltigkeit im Tourismus ist ein dynamisches und unverzichtbares Feld. International diskutierte Systeme bieten bereits wertvolle Grundlagen, doch besteht weiterhin ein erheblicher Bedarf an harmonisierten Ansätzen, robusten Daten und innovativen Methoden. Für Destinationen bleibt die Herausforderung bestehen, diese Systeme lokal anzupassen und gleichzeitig global relevante Standards zu berücksichtigen.

Das KPI-Set der Tourism Impact Alliance geht in die Testphase
Wie bereits im vorherigen Blogbeitrag erwähnt, entwickeln wir im Rahmen des Projekts „Tourism Impact Alliance“ ein KPI-Set für Destinationen, das weltweit anwendbar, vergleichbar und praxisnah sein soll.

In enger Zusammenarbeit mit dem Projekt „KPI-Set für den Deutschlandtourismus“, das durch LIFT Transformation des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert wird, arbeiten wir an der Schaffung eines handhabbaren Systems, das eine solide Entscheidungsgrundlage für Destinationen bietet.

Die ersten Bausteine für das Set wurden 2022 im Think Tank „Impact Panel“ gelegt, der aus internationalen Zertifizierungsorganisationen, Standardinhabern, Destinationen und nationalen Systemen bestand. Die Ergebnisse dieses sechsmonatigen Austauschprozesses sind weiterhin hier abrufbar. Nach einer umfassenden Konsultation mit verschiedenen Stakeholdern tritt der Katalog nun in seine Pilotphase ein. Wir testen seine Anwendbarkeit in Destinationen mit unterschiedlichen Strukturen weltweit. Dabei gehen wir Herausforderungen an, die viele Systeme bisher behindert haben, wie unzureichende Daten, komplexe Messmethoden und die praktische Umsetzung.

Wir laden weitere interessierte Experten, Zertifizierungsorganisationen und Destinationen herzlich ein, unseren Entwurf zu prüfen und an der Testphase teilzunehmen. Gemeinsam wollen wir ein praxisnahes Tool schaffen, das Destinationen weltweit bei der Erreichung und Messung ihrer Nachhaltigkeitsziele unterstützt.

Kontaktieren Sie uns über dieses Formular, um Teil dieses Prozesses zu werden!

Günter Koschwitz

Partner I Founder

koschwitz@tourcert.org

+49 711 24839711

Tags
Datengetriebener Tourismus, Green Claims Directive, Key Performance Indicators (KPIs), KPIs für Nachhaltigkeit, Nachhaltiger Tourismus, Nachhaltigkeitsmessung, Schlüsselkennzahlen (KPIs), Schlüsselkennzahlen (KPIs) für den Tourismus, tourism impact alliance, Umweltimpact, Wirkungsmesung

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